6.11.2008

US-Präsidentschaftswahl-Gucken

Ähnlich wie im Jahr 2000 verbrachte ich die Wahlnacht vor dem Fernseher. Damals war ich frühmorgens in der Gewissheit schlafen gegangen, dass Al Gore der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein würde, nur um dann mittags festzustellen, dass alles noch offen war. Das sollte mir diesmal nicht passieren! Ich würde so lange ausharren, bis ein Präsident feststand und die Kandidaten gesprochen hatten.
Für die langen Fernsehstunden waren amerikanische Nahrungsmittel
amerikanisches Essen
sowie angenehme Gesellschaft bereitgestellt. Aus Rücksicht auf den englischsprachigen Teil dieser Gesellschaft, und weil es sowieso die beste Berichterstattung war, sah man CNN. Dort wurde mit allen technischen Raffinessen gearbeitet – in Wolf Blitzers Studio wurden in Windeseile durch Handwischen und Fingertippen auf der „magischen Wand“ Landkarten vergrößert und verkleinert, wozu jemand stets wie ein Wasserfall über die demographische Zusammensetzung der Wahlgebiete sprach. Der Gipfel war, dass Reporter als Hologramm ins Studio „gebeamt“ wurden und ein dreidimensionales Hologramm des Kapitols auf dem Tisch „aufgebaut“ wurde. Das war natürlich alles total überflüssig, aber sehr niedlich. Und trotz dieser kindlichen Lust an gadgets war die Berichterstattung professionell und immer up-to-date. Wie beim Grand Prix D’Eurovision summierten sich die Punkte (= Wahlmännerstimmen) der beiden Kandidaten, und nach kurzer Zeit wurde schon klar, dass ein Sieg McCains kaum noch möglich war. Man merkte auch schon einen leisen shift in der Berichterstattung – man sprach so langsam schon so, als SEI Obama schon Präsident, und es fand sich bei Straßenumfragen auch niemand, der McCain gewählt haben wollte. Trotzdem wackelte es bei einigen Staaten noch, und je nach Auszählungsphase der Stimmen konnte da auch mal McCain vorne liegen. Unsere Stimmung wechselte also auch extrem …
sad
happy
Die Wartezeit wurde verkürzt mit dem schönen Spiel: „Singe einen Song, in dem ein amerikanischer Bundesstaat namentlich genannt wird!“ Da gibt es dann zum Beispiel
„Almost heaven, West Virginia …. “
„…and her reply came from Anchorage, Alaska …“
“Carolina/She’s from Texas/red bricks drop from/her vagina …”
(zählt das dann gleich als drei Staaten?)
„Sweet Home Alabama“
“And the lights/all went out in Massachusetts …”
„California Dreamin’“, „It Never Rains In Southern California“, „California Girls“ ….
“Memphis, Tennessee, I’m going to Graceland.”

usw. usf. – weil es für die meisten Staaten aber keine Gassenhauer gibt, mussten sie erfunden werden – „I am a rock/I am Rhode Iiis-land.“
Außerdem wurden die amerikanischsten aller Sprechlaute ausprobiert. Sprecht einmal „The rural juror“ oder „Currently, the kurds stir.“, und ihr werdet’s hören.
Nach weiterem Warten („The reason you can’t see anything in Pennsylvania is – we have no votes.“) und 1-A Wahlkommentar von unserem Sofa (“Jetzt sind schon 3% der Stimmen Mönchengladbachs ausgewertet.“) erschien gegen 5 Uhr morgens relativ plötzlich der große Schriftzug: „Barack Obama is elected President of the United States.“ Bums!
Danach folgte nur noch Freude und Erleichterung allerorten (außer in Phoenix, Arizona, wo die McCain-Anhänger versammelt waren.) Es gab sehr viele rührende Bilder von den Straßen Amerikas, tanzende, lachende und weinende Menschen, vor allem in Obamas Stadt Chicago, wo wohl 1 Million Menschen unterwegs waren. Ich konnte mich nicht erinnern, die USA mal bei irgendwas so in Freude vereint gesehen zu haben. Plötzlich erschienen uns auch fast alle Amerikaner nett und gutaussehend!
Recht bald kamen dann auch die Hauptpersonen. Zuerst sprach Verlierer McCain, und ich muss sagen, dass mich die Rede absolut beeindruckte. Er spach ruhig und mit Nachdruck, gratulierte nicht nur Barack Obama, sondern lobte ihn ca. sieben Mal, fast so, als habe er ihn insgeheim gewählt, und er strich seine und Obamas Gemeinsamkeiten und die aller US-Bürger heraus. Seine Anhänger im Publikum murrten und buhten, und er hob die Hände und sagte ernst und energisch „Please.“ Der Effekt war, dass ich dachte: “Ach, McCain ist schon in Ordnung, wahrscheinlich sind eher diese unsympathischen Republikaner da im Publikum und anderswo das Problem.“
Danach kam dann Obama auf seine Chicagoer Bühne, mit Frau und Kindern, farblich abgestimmt in rot/schwarz gekleidet. Während seiner Rede stand er aber allein auf der Bühne, und dabei dachte ich unwillkürlich: Beneiden tu ich ihn nicht. Schwere Aufgaben liegen vor ihm, und er wird sicher rund um die Uhr tierisch beschützt werden müssen. Er war natürlich froh gestimmt, aber die Rede war sachlich, wohltuend un-kitschig, es ging viel um eben jene Zukunftsaufgaben. Nur am Ende wurde es ein bisschen kitschig/religiös, als er von der 106-jährigen Wählerin erzählte und dabei wie in der Kirche nach jedem Absatz alle riefen „Yes we can!“ Aber naja.
Obama während seiner Rede
Schön für die Europäer der Satz: “For those watching far from our shores: A new dawn of American leadership is on the way.” Zum Schluss kamen nicht nur Frau und Kinder wieder raus, sondern auch Joe Biden mitsamt seiner Mutter (!) sowie jede Menge Verwandte. Es war eine fröhliche, rührende Stimmung, so ähnlich wie nach Preisverleihungen, wo alle Sieger am Ende ins Publikum winken.
Und ich ging gegen 7 Uhr morgens zufrieden nach Hause.
Sarah Palin with moustache
Dort bekam ich eine Mail von Thomas in Harvard, wo natürlich in den common rooms auch CNN geguckt worden war.
Heute war dann natürlich schönes Wetter, die Leute waren gut drauf (so bildete man sich ein), und die Zeitungen begrüßten Obama freundlich bis enthusiastisch. Ich kaufte einige und musste feststellen, dass der Kölner Stadtanzeiger auf der Suche nach kölschen Amerika-Experten sogar den Mann, bei dem ich einst Examen machte, befragt und in gewohnt cooler Pose (man beachte die IPod-Strippen!) abgelichtet hatte:
Hanjo Berressem
Neu gelernte englische Vokabel: cankles = Mischung aus “calves” und “ankles” = deutsches Äquivalent: Kartoffelstampfer (die hat nämlich Hillary Clinton).

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