14.10.2008

Richard Farina, Been Down So Long It Looks Like Up To Me

been down so long ...
Dieses Buch als Campus-Roman zu bezeichnen, wäre irgendwie falsch. Es spielt zwar auf einem Universitätscampus, aber die Handlung ist viel zu abgefahren, als dass es in dieses Genre passen würde.
Auf Seite 1 begegnen wir Gnossos Pappadopoulis, dem luprenreinen Antihelden des Romans. Es ist 1958, und er kehrt nach längerer Abwesenheit an seine Uni zurück. (Es ist eine Phantasie-Uni, aber als Vorbild ist leicht Cornell zu erkennen). Weil er aber Gnossos ist, hat er natürlich alle Einschreibefristen versäumt – nun studiert er also nicht, sondern lässt sich so treiben, zettelt alles Mögliche an und hält auch noch seine Freunde vom Studieren ab. 1958 war ja noch alles superstreng; zum Beispiel gab es nicht viele Mädchen an der Uni, sie wurden „coeds“ genannt und streng überwacht. Die „Swinging Sixties“ waren noch weit weg, aber Gnossos fängt einfach schon mal damit an: Er erzählt viele Lügengeschichten (so ähnlich wie Bob Dylan), trinkt Alkohol und macht irgendwelche Drogen-Experimente, versucht, die Frauen ins Bett zu kriegen, beschäftigt sich mit fernöstlicher Religion, fährt in einem Ford Impala auf dem Campus herum, sitzt in Cafes, verliebt sich, macht Unsinn und bekommt viele Probleme. Aber die Hauptsache kriegt er hin: immer cool bleiben.
Die Dinge kommen zu einem Höhepunkt, als an der Uni eine Protestbewegung losgeht: Es geht darum, die strengen Ausgeh-Regeln für die „coeds“ zu lockern. Gnossos wird irgendwie zum Helden dieser Protestbewegung. Außerdem fährt er zwischendurch mit Freunden nach Kuba, wo auch noch turbulente Dinge passieren.
Ich fand den Roman großartig – die Sprache ist etwas schwierig (auch musste ich ein paar Wörter nachschlagen, z.B. „paregoric“, eine Opium-Kampfer-Mischung, die sich Gnossos ab und zu reinzieht), aber voller Anspielungen, gelehrter Uni-Kleinigkeiten und unglaublich komischer Einfälle. Schön sind auch die zahlreichen liebevollen Beschreibungen ekliger Studentenzimmer – oder wie hier, des Autos, mit dem sie unterwegs sind:
The car was littered with bits of Oreo creme sandwiches, Burry’s chocolate chip cookies, empty beercans, stale-smelling laundry, used tissues, old Q-tips, rigid socks, crumbled paper bags, fudgicle sticks, salami rind, Snickers wrappers, sandals, sneakers, fractured hot dog rolls, cheese Danish crumbs, seashells, sand, a palm frond, hair, chicken bones, milkshake containers, peach pits, orange peel, tow blackhawk comic books, torn Time magazines, broken sunglasses, postcards, Juan Carlos’ maps, and a limp, nearly full, knotted Trojan [= Kondom] which had belonged to Heffalump.
1971 gab es eine Verfilmung des Romans, die war aber wohl eher schlecht …
Richard und Mimi Farina
Der Autor, Richard Farina, hat Gnossos vermutlich ein wenig an sich selbst angelehnt – jedenfalls war er selbst 1958 in Cornell (zusammen übrigens mit Thomas Pynchon, der auch das Vorwort schrieb) und auch an Protesten beteiligt. Er erzählte auch gern Geschichten über seine Herkunft (fest steht aber wohl, dass seine Mutter aus Irland und sein Vater aus Kuba stammte). Er hatte viele Freunde in der New Yorker Folkszene Anfang der 60er Jahre, und 1963 heiratete er Joan Baez’ jüngere Schwester Mimi. Die beiden traten auch zusammen als Folkduo auf, wobei er die Dulcimer spielte.
Tragischerweise starb Farina am 30. April 1966 – zwei Tage, nachdem dieser Roman veröffentlicht wurde. Nach einer netten Buch-Signierstunde in der Nähe seines damaligen kalifornischen Wohnorts Carmel kurvte er mit einem Freund hinten auf dessen Motorrad durch die Hügel, und als das Motorrad aus der Kurve flog, schlug er mit dem Kopf auf einen Felsen, was er nicht überlebte. Man fragt sich natürlich, was er noch so alles angestellt und geschrieben hätte in seinem weiteren Leben!
Mehr über das Buch hier.
Ein tolles Buch über Richard und Mimi Farina, Joan Baez und Bob Dylan:
David Hajdu, Positively 4th Street: The Lives and Times of Joan Baez, Bob Dylan, Mimi Baez Farina and Richard Farina (Taschenbuch, North Point Press).
Positively 4th street

Kommentare

Klingt gut. Die Pynchon-Assoziation hatte ich schon, bevor er erwähnt wurde. Nur eine Korrektur: der Impala ist nicht von Ford, sondern von Chevrolet … das weiß ich, weil Brenda einen hatte.

Oh no! Stimmt, ich weiß es sogar selber!
Ich ändere es jetzt aber nicht, sonst macht ja dein mühevoll hingeschriebener Kommentar gar keinen Sinn mehr.

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